TikTok wächst schneller als Facebook, Twitter und Snapchat zusammen

Reto Vogt Reto Vogt on 30. November 2019 09:00:00 MEZ

Was hat es sich mit dem Hype-Netzwerk TikTok auf sich und warum ist die App so beliebt? Ein Blogpost über Wachstum, Zensur und Reichweiten.

Facebook ist jetzt out. Von Schweizer Jugendlichen hat laut aktueller «JAMES»-Studie nur noch jede*r zweite einen Account. Die andere Hälfte hat ihn in den vergangenen Jahren gelöscht oder hatte ohnehin nie einen eröffnet. Twitter indes war bei Teenies sowieso noch nie relevant. Die 17-jährige Olivia begründete dies im «Blick am Abend» vor fünf Jahren im Namen einer ganzen Generation: 

blick am abend twitter

Quellen: Blick am Abend, Twitter

Sobald die «Boomer», also die Alten, ein soziales Netzwerk entdecken und den Jungen in die Quere kommen, suchen sich diese einen anderen Spielplatz. Zunächst Instagram und Snapchat – und jetzt eben TikTok. Das schrillste und bunteste soziale Netzwerk, das mir je begegnet ist. Punkto Bedienung und Look-and-Feel erinnert es an Snapchat, setzt aber bei der «Wildheit» noch einen drauf. Das kommt an: Die App wird so schnell bevölkert wie keine andere jemals zuvor.

TikTok viermal schneller gewachsen als Facebook

Diesen Sommer knackte das soziale Netzwerk nach eigenen Angaben die magische 1-Milliarden-Grenze monatlich aktiver User. Dies ist dem einzigen chinesischen Netzwerk, das den Durchbruch im Westen geschafft hat, nur drei Jahre nach seinem Start gelungen. Um dieselbe Nutzerzahl zu erreichen, benötigte laut Financial Times Facebook acht Jahre und WhatsApp sieben. Einen entscheidenden Einfluss auf TikToks Wachstum hatte die Übernahme von Musical.ly bzw. dessen Usern im August 2018, wie die folgende Grafik zeigt: 

grafik financial times monthly active users

Quelle: Financial Times

Was macht TikTok anders als die Konkurrenz? Das ist schon beim ersten Öffnen offensichtlich: Im Reiter «Für dich» präsentiert die App zufällige Inhalte aus dem Netzwerk, ohne dass man sich mit jemandem befreunden oder einem anderen Account folgen muss. Vorsicht also beim «Tiktoken» an einem öffentlichen Ort – vor allem ohne Kopfhörer. Mitreisende im Zug könnten je nach Bild und Ton ein falsches Bild von Ihnen erhalten.

Für Sänger*innen und solche, die es gerne wären

TikTok war (und ist meist immer noch) die Plattform, auf der hauptsächlich lippensynchron Popsongs «nachgesungen» werden. Hauptzielgruppe sind also Mädchen und junge Frauen, die sich in den Videos ihren Vorbildern entsprechend – also spärlich – kleiden. Daraus ergibt sich Problem Nr. 1: Nebst den zwei Dritteln unter 30-Jährigen hat's auch ältere Männer auf der Plattform, die sich, vornehm formuliert, unsittlich verhalten. 

Problem Nr. 2: Chinas Umgang mit Kritik am «System»: Feroza Aziz, Schülerin aus den USA, tarnte ihre Regimekritik als Beauty-Video und umging so das Zensursystem von TikTok zumindest kurzfristig – bis ihr Account aus fadenscheinigen Gründen dennoch gesperrt wurde. Andere Plattformen, unter anderem die New York Times, trugen ihre Botschaft jedoch weiter und verschafften ihr die verdiente Visibilität.

Traumhaufte Reichweiten und Verweildauern

Aber wer die Probleme ausblendet, profitiert wie sonst nirgends von der Juvenilität der Plattform: Selbst als frisch registrierter User ohne hunderte oder gar tausende Follower bzw. Freude kann man mit seinen Inhalten Reichweiten im fünfstelligen Bereich erzielen. Allein im deutschsprachigen Raum werden monatlich im Schnitt 6.5 Milliarden Beiträge angeschaut. Auch die durchschnittliche Verweildauer in der App ist mit fast fünf Minuten Spitze: Facebook (4.7 min.), Instagram (3.1 min.) und Snapchat (1.6 ,min.) liegen zurück. Ausprobieren, experimentieren und testen lohnt sich. Gelöscht ist die App dann schnell wieder, wenn sie nicht passt.

Welche Erfahrungen haben Sie mit TikTok gemacht? Über einen Kommentar würden wir uns freuen.

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Topics: Social Media, Internet