Video verändert alles, schon wieder
Der Song «Video killed the Radio Star» feiert heuer sein 40-Jähriges – und ist aktueller denn je: Der Einfluss von Videobotschaften auf die Gesellschaft war noch nie so gross wie heute.
Stellen Sie sich vor, dass Rezos YouTube-Video «Die Zerstörung der CDU» sowie die heimlichen Aufnahmen von Heinz-Christian Strache auf Ibiza wären in anderer Form publiziert worden. Zum Beispiel ganz klassisch in Textform, höchstens garniert mit einem oder zwei Bildern. Wären die politischen Auswirkungen dieselben gewesen? Kaum.
Belegen kann ich die Theorie natürlich nicht. Aber wenn ich mich selbst und meine Mitmenschen beobachte, stelle ich fest, dass der Konsum von Videos in den letzten 12 Monaten drastisch zu- und jener von Text abgenommen hat. Und was nicht gelesen wird, kann auch keinen Einfluss haben. Die aktuelle Social-Media-Studie von «Xeit» illustriert das dann beispielsweise so:
Während Facebook verglichen mit dem Vorjahr an Attraktivität verliert, legen auf Bild- und Video fokussierte Plattformen wie Instagram und YouTube zu. Auch auf LinkedIn, dem laut Studie dritten Gewinner, funktionieren Videos ausserordentlich gut. Doch dessen Zunahme dürfte aber in der Schweiz eher auf das schwächelnde Xing zurückzuführen sein, denn auf Videocontent.
Herr YouTube wird Nachhilfelehrer
YouTube ist bei der jungen Zielgruppe zwischen 12 und 19 Jahren besonders stark: Die Plattform ist Leitmedium bei Schüler*innen und kurz davor, WhatsApp von der Spitze der beliebtesten Social Networks zu verdrängen. Laut einer repräsentativen Studie des Rats für Kulturelle Bildung in Deutschland wird die Videoplattform von jungen Menschen zur Weiterbildung genutzt, indem sie sich Tipps für Hausaufgaben holen oder bestimmte Themen nochmal anders erklären lassen, als zuvor von der Lehrerin oder dem Lehrer. Trotz fortgeschrittenem Alter hab' auch ich das schon getan und mir zeigen aus Mangel an praktischer Erfahrung zeigen lassen, «wie man sich eine Krawatte umbindet».
C'est le ton qui fait la musique
Doch die Zunahme des Videokonsums lässt sich für mich auch noch anders erklären. Es ist weder der Bedarf an Nachhilfe, noch die Nahezu-100-Prozent-Smartphone-Abdeckung und schon gar nicht die Ebenso-Nahezu-100-Prozent-4G-Abdeckung in der Schweiz. Beides gibts hierzulande schon länger. Erst die immer grössere werdende Verbreitung von Apples AirPods (und anderen Schnurlos-Kopfhörern) führte zum tatsächlichen Videoboom. Denn ein Video ohne Ton ist, nun ja, wie ein Schinkensandwich ohne Schinken.
Im öffentlichen Raum (zumindest im urbanen) trägt die kleinen Ohrmusikanten – ohne zu übertreiben – mindestens jede*r Zweite zwischen 15 und 45 Jahren. Vorbei ist das mühselige Entwirren des Kabelsalats, das man sich höchstens bei jedem zehnten Video angetan hatte, das einem in die Timeline gespült worden ist. Nein, die AirPods trägt man, wie Richard Gutjahr es formuliert, wie seine Kontaktlinsen: Jeden Tag, ohne Unterbruch, vom Aufstehen bis zum Zubettgehen.
AirPods: Die Untertitel-Killer
Wer kommuniziert, muss also künftig das Format «Video» in seinem Medienmix ein stärkeres Gewicht geben, um überhaupt noch wahrgenommen und gehört zu werden. Sie haben sich bislang nicht oder nur am Rande um Video gekümmert? Zu spät ist es dafür nicht. Immerhin kann können Sie sich ab sofort die – ohnehin viel zu aufwändigen – Untertitel sparen, die bis vor kurzem noch in jedem Clip Pflicht waren. Die bis anhin gültige Begründung «Wegen deinem Video kramt doch niemand die Kopfhörer hervor» ist praktisch hinfällig geworden.
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Topics: Social Media, Konzepte und Strategien, Kommunikation