Wie LinkedIn uns im Advent 10'000 Views bescherte

Peter Hogenkamp Peter Hogenkamp on 9. Dezember 2019 08:50:26 MEZ

Mit einem etwas improvisierten Recruiting-Video haben wir rund 11'500 Abrufe erreicht. Und – Achtung Spoiler – dank guten Bewerbungen bereits eine neue Kollegin eingestellt.

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Haben Sie das Video verpasst? Hier lang

Als IT-Startup in Zürich die richtigen Mitarbeitenden zu finden, war immer schon eine anstrengende Sache. Mit einer Unterbrechung mache ich das seit rund 20 Jahren, aber so anstrengend wie dieses Jahr fühlte es sich noch nie an. Die Konkurrenz reicht von jungen Startups über Google bis zu den Banken, und für Stellenprofile wie Customer Success Management oder Produktmanagement/SaaS sind offenbar noch nicht genug Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Wir suchen daher buchstäblich seit Monaten. 

Recruiting forcieren, aber wie? 

Es schmerzt, wenn das Produkt sich immer grösserer Nachfrage erfreut, bestehende und neue Kunden mehr von uns wollen, aber man nicht das Personal hat, um alles zügig «auszuliefern». Schnell gerät man in den Teufelskreis: Wir hatten zu wenig Zeit, die offenen Stellen zu besetzten, weil wir zuviel selbst machen mussten. 😒 Letzte Woche wurde klar: Wir müssen eskalieren und das Thema Recruiting ganz oben priorisieren, um diesen Kreis möglichst noch im alten Jahr zu durchbrechen.

Bei Stellen gibt es neben dem Einsatz eines Headhunters (teuer und auch kein sicherer Weg zum Glück) eigentlich nur den Ansatz, möglichst viel Aufmerksamkeit auf die Stelleninserate und auf das Unternehmen generell zu lenken. Jedes Recruiting ist also auch Werbung und damit auch Mediaplanung: Wie erfahren möglichst viele Menschen, insbesondere ausserhalb unserer Filterblase, von unseren offenen Jobs?

PESO: Mediaplanung auch beim Recruiting

Diese Disziplin hat sich seit dem Aufkommen von Social Media und Content Marketing stark verändert. Während es bei der klassischen Mediaplanung hauptsächlich darum geht, sein Geld klug zu investieren, ist in einem breiteren Kommunikationsverständnis daneben heute das «PESO»-Modell getreten, das zwischen Paid, Earned, Shared und Owned Media unterscheidet: 

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Quelle dieser vereinfachten Darstellung. Das Modell wird Gini Dietrich zugeschrieben.

Es gibt unzählige detailliertere Darstellungen, welche Kanäle wo zu verorten sind. Hier eine übersichtliche deutschsprachige Aufbereitung von Linus Oertli aus Luzern (Klick zum Vergrössern):

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Quelle: online-mediaplanung.ch, 2016 

Wie passt das zu unserem Anwendungsfall der offenen Stellen?

Owned: In unseren eigenen Kanälen wie auf unserer Website, in diesem Newsletter und auf unseren eigenen Social-Media-Kanälen (Schnittstelle zwischen Owned und Shared) hatten wir natürlich auf die Stellen hingewiesen. Wegen beschränkter Reichweite nicht mit dem gewünschten Erfolg. 

Paid: Für die Software-Engineer-Stelle haben wir im kleinen Rahmen einige bezahlte Stellenanzeigen geschaltet, etwa bei freshjobs (CHF 100) oder auf der Developer-Plattform stackoverflow ($490). Ohne Erfolg.

Earned: Wir haben auch schon klassische PR gemacht, und einige Medien haben über uns und unser Produkt berichtet – aber dass wir offene Stellen zu besetzen haben, darüber wird kein Medium schreiben. Dieser Kanal passt also nicht zum Reichweitenziel.

Shared: Als Startup mit geringem Budget kann man also nur hoffen, dass man «geshared» wird, also dass die Botschaft von anderen Menschen und den Mechanismen eines sozialen Netzwerks weiterverbreitet wird. Nur: wie?

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Quelle: Watson.ch

Im Scope-Team sind wir schon lange Fans der «Chefsache»-Videos von Maurice Thiriet, Chefredaktor des Schweizer Newsportals Watson, in denen er jeweils eine Mitarbeiter*in zur Schnecke macht dafür, dass sie Dinge macht, die «in diesem Büro verboten» sind, etwa: Hausschuhe zu tragen, zu gut zu arbeiten, zu optimistisch zu sein, im Fussballtrikot zu erscheinen, tätowiert zu sein etc. Die andere Person sagt praktisch nichts, sondern lässt den Sermon geduldig über sich ergehen. Das ganze ist noch etwas witziger, wenn man Thiriet persönlich kennt, aber da jeder Chefs kennt, funktioniert es auch sonst.

Reto und Reto und Reto und Reto und Reto

Weil von unseren wenigen Leuten im Team zwei Reto heissen (ein Vorname, den es praktisch nur in der Schweiz gibt, aus gutem Grund), hatte ich schon ein paarmal gescherzt, wir sollten ein Video machen, dass das eigentlich bei uns im Büro verboten sei, gleich zu heissen. Bis letzte Woche war das ein typischer «Wir könnten mal…»-Plan. Dann kam uns die Idee, ihn mit dem Push der offenen Stellen zusammenzubringen.

Zugegeben, die Geschichte, die wir uns ausgedacht haben, ist nicht gerade logisch: Weil wir schon zwei Retos haben – was bereits nervt – können wir ja in Zukunft nur noch Retos einstellen, dann ist es irgendwann egal. Aber dieser krude Gedankengang führte zu einer recht Social-Media-kompatiblen Folge-Idee, nämlich dass wir für die drei offenen Stellen drei Männer mit dem Vornamen Reto suchen und diese explizit aufrufen, sich zu bewerben. Diese drei waren via LinkedIn schnell identifiziert.

Kann für Social Media eigentlich nicht funktionieren, aber ...

Also schrieben wir am vorletzten Dienstag rasch ein Skript. Anders als die Medienprofis von Watson haben wir natürlich kein Video-Team, das die besten Sätze zusammen schneiden kann, deswegen war unser Budget-Plan: am Stück aufnehmen und hochladen.

Das offensichtliche Problem unserer Geschichte: Sie ist deutlich zu lang, um auf Social Media als «Snackable Content» von zwei bis drei Minuten durchzugehen – gerade so lange, dass man kein schlechtes Gewissen hat, es im Büro zu schauen.

Unser Skript dagegen ist rund 7 Minuten lang. Von der Ausgangslage und den Aufrufen an die drei Retos, sich zu bewerben, bis hin zur Erwiderung auf den unvermeidlichen – und berechtigten – Ruf nach der «Frauenquote» liess sich kein Teil wirklich weglassen. Die Geschichte in drei oder vier kürzere Videos zu splitten hätte durch das nicht-lineare Auftauchen in diversen Feeds vermutlich konfus gewirkt und nicht funktioniert.

Also Augen zu und durch. Am vorletzten Mittwoch setzten wir uns zu dritt auf das Sofa im Sitzungszimmer und nahmen mit meinem iPhone auf einem wackligen Pult-Stativ auf.

Beim vierten Take ist das Video im Kasten und online

Auf dem ersten «Take» wusste noch niemand so recht, wohin man die ganze Zeit schauen sollte, was einen wirren Eindruck machte. Reto und Reto entschieden daraufhin, starr in die Kamera zu glotzen. Beim zweiten bekam mein iPhone mittendrin einen Anruf, was einen nicht nur ablenkt, sondern vor allem die Aufzeichnung stoppt.

Beim dritten kippte unser Kollege Florian nach professionellem Runterzählen beim Auslösen des Aufnahme-Buttons fast das iPhone um, was zu unserem favorisierten Outtake führte, nur 2 Sekunden lang.

Beim vierten habe ich mich zwar zweimal leicht verhaspelt, und bei 06:19 min. läutete deutlich hörbar jemand an der Tür, aber wir fanden: nach der alten 80:20-Regel gut genug. Da wir keine Profis sind, wäre wahrscheinlich auch der zehnte Anlauf nicht perfekt geworden. Das Aufnehmen hatte somit nur rund eine halbe Stunde gedauert. 

Ohne Editieren luden wir am Nachmittag das Video bei YouTube, Facebook und LinkedIn redundant hoch und teilten es bei Twitter, auf persönlichen Kanälen sowie den Scope-Seiten.

11'500 Views in 10 Tagen

Wir sind ja von Haus aus Optimisten, aber die Ergebnisse haben unsere Erwartungen übertroffen. Ohne einen Rappen oder Cent für «Paid»-Promotion auszugeben, hatten wir über alle Plattformen Tausende von Abrufen und Hunderte von Kommentaren, Likes und Shares:

  • Insgesamt wurde das Video in den zehn Tagen seit dem Upload 11'500 mal angeschaut.
  • Die Aktion zahlte nicht nur aufs Recruiting ein, sondern führte auch zu generell gesteigertem Traffic auf unserer Website, Downloads der Produktbroschüre, sogar zu Offertanfragen.
  • Aus den Kommentaren ergaben sich viele nette und lustige Diskussionen. Vermutlich haben wir auch etwas für unser «Employer Branding» getan.
  • LinkedIn ist mit Abstand der beste Kanal, in jeder Dimension, mit derzeit 9050 Views des Videos, aber auch bei den Reaktionen (Likes), Kommentaren und Shares, bei denen der Beitrag von jemand anderem weiter verbreitet wird. Da niemand von uns eine riesige Reichweite auf LinkedIn hat, stammt der Traffic vor allem aus der Kategorie «Shared».
  • Twitter zählt zwar sehr viele Impressions, also Anzeigen des Tweets (7600), die uns aber etwas dubios vorkommen und folgerichtig auch nur zu 130 Abrufen des Videos führen. Allein mit Twitter wäre die Aktion ins Leere gelaufen.
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Zugegeben, LinkedIn zählt nach eigenen Angaben einen Videoabruf, wenn dieses «mindestens 3 Sekunden lang» angeschaut wurde. Die tatsächlichen Zahlen, wie oft unser Clip bis zum Ende geschaut wurde, dürften deutlich niedriger liegen. Das stört uns nicht weiter. Und aus den zahlreichen Kommentaren, die sich etwa auf «Diversity/Regula» bezogen (ab 5:45 min.) geht hervor, dass es viele doch ganz geschaut haben.

Herzlich willkommen an Bord, Thinh-Lay Wonesky

Aber das wichtigste Fazit ist natürlich: Wir haben mehrere sehr gute Bewerbungen explizit durch das Video erhalten.

Für die Stelle als Customer Success Managerin konnten wir bereits eine neue Kollegin einstellen, die am Montag beginnt. Wir freuen uns sehr, Thinh-Lay Wonesky! Natürlich kam auch sie über LinkedIn. Und wir sind zuversichtlich, dass wir dank neuem Schwung und neuen Kandidat*innen auch die Produktmanagement-Stelle noch vor Weihnachten besetzen können.

Topics: Social Media, In eigener Sache, Kommunikation, Scope-Newsletter Peter