«Ein guter Newsletter darf kein reines Promo-Tool sein»

Peter Hogenkamp Peter Hogenkamp on 14. September 2021 14:17:19 MESZ

Interview von MEEDIA mit Dr. Peter Hogenkamp, CEO Scope Content AG, über aktuelle Newsletter-Trends und was einen guten Newsletter ausmacht. 

Peter Hogenkamp CEO ScopeDr. Peter Hogenkamp, CEO Scope Content AG

Newsletter haben in den vergangenen Jahren eine Renaissance erlebt. Warum ist das so?

Peter Hogenkamp: Das ist in der Tat so. Newsletter wurden nach Aufkommen des iPhones und später des iPads zwischenzeitlich abgeschrieben. Es gab alle möglichen Irrtümer, die damals mit der sogenannten «App Economy» einhergingen. Insbesondere in der Verlagswelt haben einige gedacht: Oh, das ist ja super, Apps sind wie ein interaktives Magazin, das können wir bespielen. Apple selbst hatte das Schlagwort von der «Finite Experience» lanciert, also dem abgeschlossenen Nutzungserlebnis in einer App, etwa bei einem E-Paper – im Gegensatz zum Kuddelmuddel des offenen Web mit diversen Links und so weiter. Dann gab es aber eine gewisse Ernüchterung, als man festgestellt hat, dass man aus den geschlossenen App-Systemen auch eher schlecht wieder herauskommt und sich somit abhängig macht. E-Mail ist quasi der Gegenentwurf, eine Art Universal-Medium, das jeder und jede empfangen kann. Newsletter sind der kleinste gemeinsame Nenner der Kommunikation, durchaus mit einer «Push»-Funktion, die die meisten von uns aber als nicht allzu aufdringlich empfinden. Das erwähnte abgeschlossene Erlebnis liefern sie auch, sogar einfacher als viele Apps. Und sie zu versenden ist recht günstig. Sie waren ohnehin nie wirklich tot und sind dann umso gewaltiger zurückgekommen

Gibt es auch Nachteile?

Natürlich, sogar diverse. Die drei schlimmsten aus meiner Sicht: Erstens kann man einen Newsletter nach dem Versand nicht mehr aktualisieren: Ein dummer Fehler, den man eine Sekunde nach dem Versenden bemerkt, aber die 10’000 Mails sind raus – in dieser Hinsicht sind Newsletter im schlechten Sinne wie Print. Zweitens ist man beim Design stark beschränkt, und die korrekte Formatierung ist geradezu eine Wissenschaft. Ein Newsletter muss überall gut aussehen, auf dem Smartphone wie auf dem Desktop, und dort bis zu einem uralten E-Mail-Client. Die Fehlersuche, warum in Outlook 2010 plötzlich eine Linie angezeigt wird, die in allen anderen Clients unsichtbar ist, kann einen zur Verzweiflung treiben. Und drittens stöhnen wir natürlich alle unter generell zu vielen E-Mails und überlaufenden Inboxen, und jeder Newsletter trägt auch dazu bei. Helfen würde etwa ein Selbst-Lösch-Modus für Newsletter nach 30 Tagen, aber den gibt es natürlich nicht. Trotz dieser unbestrittenen Nachteile überwiegen die positiven Seiten. Wenn man einen Verteiler aufbaut und sinnvolle Inhalte versendet, ist das meiner Erfahrung nach ein Budgetposten ohne Risiko. Ein gut gemachter Newsletter wird nie komplett floppen, was dagegen bei einer Social-Media- oder AdWords-Kampagne durchaus passieren kann.  

Was sind denn gute Öffnungsraten für B2C- oder B2B-Newsletter?

Das kommt natürlich auf das Zielpublikum und auf das Thema an. Im B2C-Bereich, etwa als Promo für einen Online-Shop, gibt Newsletter mit auf den ersten Blick grauenhaft wirkenden Open-Rates von ein oder zwei Prozent; mit fünf Prozent ist man da unter Umständen schon gut dabei. Wichtig ist dabei, sich klar zu machen, dass es dieselben Empfänger:innen sind, die öffnen. Selbst wenn sie an sich durchaus noch interessiert sind, lesen sie womöglich neun Newsletter hintereinander nicht. Aber wenn dann jemand aufgrund des zehnten Newsletters etwas kauft, haben sich die Mails für den Versender locker gelohnt. Ich empfehle daher immer, auch in einen E-Commerce-Newsletter neben Abverkaufs-Produktwerbung auch redaktionelle Inhalte einzubauen – das müssen nicht mal nur eigene Inhalte sein, solange sie beim Lesen einen Nutzen stiften. 

Im B2B-Bereich sind die Öffnungsraten sicherlich höher.

Genau, da hat man aber auch generell kleinere Verteiler und eine kleinere Zielgruppe, im B2B-Bereich haben die Leute meist eine höhere Affinität zum Produkt. Wir sehen bei unseren B2B-Kunden nicht selten Öffnungsraten von 30 bis 40 Prozent, wenn es sehr gut läuft, hatten wir auch schon über 50 Prozent. Zudem bekommt man auf einen guten B2B-Newsletter auch häufig Feedback auf anderen Kanälen, etwa beim nächsten Verkaufsgespräch. Das macht Freude auch jenseits der strengen KPI-Messung.  

Was Werbetreibenden im digitalen Bereich Kopfzerbrechen bereitet, ist die Consent-Problematik. Der Cookie ist quasi tot. Es gibt Regelungen wie die Datenschutzgrundverordnung, aber bisher noch keine ID-Verfahren, die sich durchgesetzt haben. Ist das auch ein Vorteil von Mail-Newslettern, dass ich hier Zielgruppen datenschutzkonform einfach erreichen kann?

Nun, einerseits gibt es diese Regelungen zum Datenschutz, an die man sich natürlich halten muss. Der Wilde Westen, in dem man einfach Adressen kaufen und Leute zuballern konnte, ist zum Glück vorbei. Aber seriöse Unternehmen haben das ohnehin nie gemacht, weil man so nur schnell im Spam gelandet ist. Ich finde es vor allem wichtig, dass man auf den Nutzen fokussiert, den ein Newsletter dem Empfänger stiftet. Was nützt ein rechtlich korrekter Newsletter, der als «spammy» empfunden und sofort abbestellt wird? Diese Einordnung ist übrigens nicht schwarz/weiss, sondern gibt es auch weitere Sortierfunktionen, etwa in Gmail mit den automatischen Tabs: Einen Newsletter mit guten, auch redaktionellen Inhalten, der oft gelesen wird, sortiert Google im Tab «Allgemein» ein, einen weniger guten bei «Werbung». Generell ist in Sachen Privacy ja derzeit viel in Bewegung. Wir wissen noch nicht genau, was mit der Online-Werbung passieren wird, wenn Apple bald das neue iOS 15 mit nochmals erweiterten Privacy-Funktionen launcht. Ein funktionierender Newsletter-Verteiler wird daher auf absehbare Zeit ein robuster Weg bleiben, seine Zielgruppe zu erreichen.

Sind Newsletter also ein Allheilmittel für die Kommunikation?

Langfristig wohl nicht. Wenn wir 15 Jahre in die Zukunft denken, können Newsletter nicht die alleinige Lösung sein, dazu sind die oben genannten Limitationen und unschönen Eigenschaften zu präsent, und E-Mail ist nun mal ein 50 Jahre altes System. Allerdings haben wir das wie gesagt vor 15 Jahren auch schon mal gedacht. Ich kann mir daher gut vorstellen, dass in den nächsten paar Jahren – gerade angesichts der Privacy-Debatte – Newsletter eher noch einmal an Bedeutung zulegen werden.

Aber sind Newsletter nicht heute schon eher ein Medium für alte Menschen?

Sie sind auf jeden Fall ein Medium für Professionals. Kinder und Jugendliche können heute alles Mögliche, aber oft tun sich ausgerechnet die «Digital Natives» schwer damit, E-Mails zu versenden. Das ändert sich allerdings, sobald sie den ersten Job haben. Wer eine Banklehre anfängt, muss nun mal jeden Tag E-Mails verarbeiten. Die Frage ist dann natürlich, ob das auch auf die private Nutzung abstrahlt. Ich denke eher ja, denn E-Mail ist ja immer noch der administrative Backbone für fast jede Art von E-Commerce. Wer online etwas kauft oder bucht, bekommt fast immer eine E-Mail als Bestätigung. Und wenn das Päckchen von DHL unterwegs ist, kommt wieder eine Mail mit der Tracking-Information – eben weil E-Mail diese einheitliche Plattform ist, auf der alle sind. Kann gut sein, dass die jungen Leute nie mit ihren Freunden mailen werden. Aber ich würde behaupten, dass man ganz ohne E-Mail heute noch nicht durchkommt.

Gehen wir mal von Marketing-getriebenen E-Mails zu redaktionellen Newslettern. Was macht einen gelungenen redaktionellen Newsletter aus?

Da gibt es verschiedene Typen. Der klassische redaktionelle Newsletter ist ein Digest der Zeitung, also etwa der typische «Morgenlage»-Newsletter mit einem Dutzend Links. Dieser kann für die Abonnenten auch als Budget-Variante der Zeitung fungieren, wenn sich jemand das Abo nicht leisten, aber trotzdem auf dem Laufenden bleiben will. Für die Publisher ist es durchaus sinnvoll, diese Gruppe in einer Umlaufbahn zu behalten, immerhin namentlich bekannt mit Mailadresse, wenn auch ohne Abo. Eine andere Art des redaktionellen Newsletters liegt vor, wenn der komplette Text in der Mail steht, also der Newsletter selbst das Produkt ist. Und natürlich gibt es Kombinationen aus beiden Varianten: Editorialer Stil, mit diversen Links zu Vertiefungen. Weiter verbreitet ist derzeit sicher die erste Version, bei der ein Newsletter eine Sammlung von kurzen Anreissern mit Links ist, die zum eigentlichen Angebot auf der Website verweisen. Nachdem mittlerweile praktisch alle Publisher die Zukunft eher im Nutzer- als im Werbemarkt sehen, also in Abos, sind die meisten Newsletter vor allem als Abo-Treiber gedacht. Ich würde aber immer empfehlen, den Newsletter auch als eigenständiges Digitalprodukt zu sehen und nicht nur als Promotionstool für die Website.  

Funktionieren also redaktionelle und Marketing-Newsletter ähnlich?

Grundsätzlich schon, indem beide in sich einen Nutzen stiften müssen, und der kann auf Dauer nicht nur «Hier klicken und kaufen» sein. In jedem Fall sollte man sich als Absender Gedanken machen, wie man seine Zielgruppe sinnvoll unterteilen kann. Vor allem für redaktionelle Newsletter sollte die Zielgruppe nicht zu gross sein. Der «One size fits all»-Newsletter an den ganzen Adressbestand ist doch ein schrecklicher Anachronismus – wo sind die medienspezifischen Vorteile gegenüber Print? Wenn im B2B-Bereich ein Newsletter zum Beispiel mit «English text below» anfängt, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Kann man die Englischsprachigen wirklich nicht identifizieren – und sei es, indem man halt nachfragt und um Selbstdeklaration bittet – und ihnen dann den richtigen Newsletter schicken? Auf der entgegengesetzten Seite dieser Skala gibt es ja derzeit Bestrebungen, dass Newsletter komplett personalisiert sein sollen. Das ist einerseits sehr teuer aufzusetzen, und im News-Bereich halte ich es ebenfalls für nicht optimal, denn eine redaktionelle Handschrift sollte erkennbar bleiben. Bei automatisch personalisierten Newslettern ginge das «Serendipity»-Element verloren, die «Wundertüte Zeitung», von der zurecht immer wieder geredet wird. Das wäre doch schade. Ich will durchaus auch die Opernrezension in meinem Newsletter lesen, wenn die Redakteurin sie wichtig findet – selbst wenn ich jahrelang keine Oper angeklickt habe. Der Königsweg ist dabei natürlich immer, dass Mensch und Maschine optimal zusammenarbeiten: Ein Algorithmus schlägt vor, die Redakteurin entscheidet.  

In den USA wurde Substack gross gehypt, ein Service, mit dem einzelne Personen einfach Bezahl-Newsletter aufsetzen können. Auch ein Trend für Deutschland?

Das gibt es bei uns auch in Ansätzen, zum Beispiel mit Gabor Steingarts Newslettern. Das «Morning Briefing» ist gratis, die anderen zu Politik, Tech oder Security dann aber kostenpflichtig. Auch der «Tagesspiegel» hat schon lange eine kostenpflichtige Version seines bekannten «Checkpoint»-Newsletters, der übrigens einer der Vorreiter bei der Renaissance war, über die wir hier reden und wegweisend auch in Länge und Form. Paid Newsletter sind kein neues Phänomen, aber sicher in letzter Zeit deutlich populärer geworden, eben weil man erkannt hat, dass der Newsletter auch das Produkt sein kann und nicht nur ein Marketingtool für die Bezahl-Website.   

Aber lässt sich der Trend zu Paid Newslettern wirklich auf deutsche Verhältnisse übertragen? Englischsprachige Letter haben ja praktisch die ganze Welt als Markt, deutschsprachige nur Deutschland, Österreich und die Schweiz.

Das sehe ich auch so. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass man nicht unbedingt den klassischen Verlag braucht, um sich eine Audience aufzubauen. Die baut man aber auch nicht bei Substack auf, sondern für fachliche Diskurse vor allem auf Twitter und LinkedIn. Substack ist dann das Tool dafür, einen kleinen Teil dieser Reichweite zu monetarisieren. Damit das aufgeht, braucht man in der Tat eine grosse Bühne. Bei bezahlten Newslettern profitiere ich als Leser vom tiefen Know-how einer Person über ein Spezialthema. Und wenn mein Bedürfnis nach Tiefe so gross ist, dass ich dafür bezahlen würde, ist wahrscheinlich umgekehrt die Nische relativ klein, denn sonst gäbe es längst ein grosses Portal, das das Thema bearbeiten würde. In dieser Nische macht es dann natürlich einen grossen Unterschied, ob du dein Publikum aus 80 Millionen oder zwei Milliarden Menschen rekrutierst, die Englisch verstehen und einen Internetanschluss haben. Das sieht man auch daran, dass Springer angeblich bereit war, für «Politico» über eine Milliarde Dollar zu zahlen. «Politico» hat die dabei zitierten hohen Margen nur, weil die Politik-Blase in den USA gross ist und sich zudem weltweit viele Menschen für US-Politik interessieren. Ich glaube nicht, dass dieses Modell genauso auch in Berlin funktioniert.

Sind die Hoffnungen, die Publisher generell mit Paid Content verbinden, gerechtfertigt?

Ich glaube schon, dass man für den Journalismus und für die Medienbranche wieder ein bisschen optimistischer sein kann als noch vor einigen Jahren. Die Verlage haben verstanden, dass sie besser Abos pushen als nur Reichweite zu bolzen, und viele User haben eingesehen, dass sie zumindest an einigen Orten zahlen müssen, wenn sie gut informiert werden wollen. Ob überregionale Verleger damit aber die Breite des inhaltlichen Angebots aus der Print-Zeit aufrecht erhalten können, wissen wir immer noch nicht. Und bei den Regionalmedien sind die Herausforderungen sicherlich noch grösser. Deren Markt ist klein, daher müssen sie prozentual mehr Menschen zum Zahlen motivieren. 

Nochmal zurück zu den Newslettern. Was sind die grössten Don‘ts, wenn man einen erfolgreichen Letter machen will?

Das grösste Don't, von dem man denkt, es müsste doch längst ausgestorben sein, ist eindeutig, dass man einen Newsletter verschickt, der nicht mobil optimiert ist und in den man auf dem Smartphone mühsam wie mit einer Lupe reinzoomen muss. Von diesen technischen Fehlern gibt es einige, wie bereits gesagt auch das Optimieren auf nur wenige Plattformen, oder dass der Newsletter zu lang oder zu «schwer» ist und manche Clients ihn abschneiden. Weiterhin bekommt man oft das Gefühl, ein Newsletter wurde automatisch aus der Website heraus generiert und versandt. Das kommt öfter vor, als man denkt. Die Website wird gepflegt, aber weil man nur eine kleine Redaktion hat oder die Verlegerin oder die Chefredakteurin nicht an Newsletter glaubt, ist der Newsletter das Schmuddelkind geblieben und wird automatisch über ein Plugin versandt oder auch vom Volontär via Copy/Paste zusammengeklickt. Das merkt man beim Lesen sofort. Ein Newsletter braucht eine eigene Handschrift. Jedes erfolgreiche digitale Produkt ist mit Liebe gemacht, natürlich auch ein Newsletter.


Dieser Artikel erschient erstmals bei MEEDIA. 

 


 

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Topics: Newsletter und E-Mail, Content Marketing